Hartmut Zänder
»Arnold goes to cyberland.«


(portugese version)


Das für die Weltraumfahrt so traumatische Challenger-Unglück damals,bei dem sieben Menschen ums Leben kamen, war wie immer für die Sensationspresseein gefundenes Fressen. Die Zeitschrift Stern brachte einen großenArtikel mit doppelseitigen Farbfotos, die einen merkwürdigen Zusammenhangherstellten. Das erste, sehr bekannte Foto zeigte die explodierende Raumfähremit den beiden auseinanderstiebenden Antriebsraketen, gleich auf der nächstenSeite sah man die einzige Zivilistin des Unternehmens, eine Lehrerin, wiesie in ihrer Schulklasse mit übersprudelnder Lebensfreude den Rosenthalsprung(Das war Spitze!) vorführt.
Dieser deutliche Zusammenhang zwischen Sprungkraft und Sprengkraft brachtemich zu der Bildidee "Kraftakt". Mit dabei war Arnold Schwarzeneggerals posierender Bodybuilder, der mit einer 3-D-Brille zwei rot-grüneZeichnungen von einer hüpfenden Hausfrau mit Schnellkochtopf übereinanderfokussierenwill.
Die zweite Karriere von Schwarzenegger als Filmstar begleitet einen allgemeinwahrnehmbaren Technologieübergang. Zu Beginn ließ er seine Muskelnals wilder Barbar springen und mutierte später zum Android mit enormerSprengkraft.
So war es nur logisch, in der Serie Orbis TV pictus sich erneut mit Schwarzeneggerfilmenzu befassen. (Total recall und Terminator 1+2)
Die Differenz zwischen den beiden überaus erfolgreichen Terminatorfilmenmarkiert genau den Technologieübergang vom bloßen Film zu computergesteuertenMorphingtechniken, wie sie auch in Jurassic Park, Michael Jacksonclips undimmer mehr in der Werbung zu sehen sind. Deshalb habe ich die Werbespotszwischen den Terminatorfilmen für die Zeichnungen mitverwertet.

Filme bedienen sich der Motive, die seit der Erfindung von Traumzeiten,Jenseitsen das platonische Reich der Ideen (bei Flusser : Muster) angefülltund erweitert haben. In Filmen gehen die einzelnen Motive unter in sie übergreifendeThemen oder auch Bewegungsgestalten. Wer einer Filmhandlung folgt, ist kaumin der Lage, einzelne Motive als solche wahrzunehmen, geschweige denn zuverstehen. Deshalb mein Kunstgriff, Standbilder mit dynamischen Qualitätenherauszulösen, in neue Zusammenhänge zu binden und so möglicheThemen anders faßbar zu machen. Dieser Text soll keine Filmbesprechungliefern und auch die Bilder nicht erklären, sondern den konzeptionellenRahmen abstecken, in dem bestimmte Themen verständlich werden.

Wer heutzutage viele "Termine" hat, ist gut dran. In Flughafenterminalszu warten, an Computerterminals zu sitzen garantiert den Anschlußan die vielfältigen Virtualitäten der Internet-, Börsen-und Jetsetwelten.
Als der erste TERMINATOR-Film in die Kinos kam, schien der Begriff neu,obwohl sofort verstehbar. Ein weiterer Amerikanismus kommt über denTeich, der eine Art Roboter, Vollstrecker, Killer meint und "actionpur" verspricht. Ein Hauch von Endzeit und Weltuntergang spielt mithinein, wie auch der Untertitel von Terminator 2 (The judgement day) belegt.Den Begriff "Terminator" gibt es allerdings schon länger.Zum einen wurde damit die Scheidelinie zwischen der hellen und dunklen Seitedes Mondes gekennzeichnet, zum andern heißen in der Elektrosprachedie Teile so, die einen Stromkreis beenden und abklemmen.
TERMINUS ist der lateinische Grundbegriff, der all den Wörtern wieTermin, Terminal, Determination, Terminierung vorausgeht. Daß es dabeiimmer um eine Grenze und Begrenzungen geht, ist klar, aber Frage ist, welcheGrenze gemeint ist und in welchem Aktionsraum sie eine Rolle spielt.
Ich denke, daß es letztlich nur um eine Grenze geht, die ihre Wellenbis in heutige Hautprobleme schickt, nämlich die Grenze, die einstquer durch die Wildnis gezogen wurde, um den menschlichen Kulturspielraumzu eröffnen. So sind denn auch die ersten Visualisierungen keine Figurenwie z.B. die Venus von Willendorf, sondern abstrakte Zeichen wie Kreise,Linien, Linienreihen und Raster. Mit diesen Zeichen konnten sich Menschenüber ihre anschaulichen Denkfunktionen ein erstes Selbstverständisverschaffen. Es fällt natürlich schwer, das Frische und Ungeheuerlicheeiner solchen Formerfindung, z.B. einen Kreis zeichnen und damit ein gedachtesGanzes eingrenzen zu können, in einer Zeit der Dateninflation nachzuvollziehen.
Es ist ein und derselbe Akt, einen Kulturraum zu schaffen und Wildnis auszugrenzen.Zäune und Mauern eröffnen zugleich ein Innen und Außen,ein Selbst und ein Fremd. Dieses Grenzenziehen zu bedenken und in Kunst,Philosophie und Literatur zu formulieren gehörte lange Zeit zur Entwicklungsgeschichteder Zivilisation und Privatheit.
Das zweite Standbein neben dem der konturierenden Ausgrenzung heißtVerwandlung. Wie mache ich aus der Wildnis Kulturgut, wie mache ich ausdem wilden Tarzanmenschen ENKIDU einen konkurrenzfähigen Partner? (imsumerischen GILGAMESCH-Epos) Gemeinsam konnten sie die große Zederfällen oder den Stier bezwingen (darauf geht z.B. das alte Ritual "Über-den-Stier-springen"aus dem Mithraskult zurück).
Der erste europäische Anatomieatlas von Albert de Mondeville aus demzwölften Jahrhundert markiert diese Grenze in sehr christlicher Manier.Er unterscheidet einen homo domesticus von einem homo silvestrisund trennt so klar den inneren oder auch oberen guten Hausbewohner vom äußeren,behaarten und schlechten Wilden.
Heute ist deutlich, daß die Grenze zur Wildnis quer durch jeden gehtund die damit verbundenen Probleme somit nicht abschließbar sind.Die neuen, leistungsstarken Computer sorgen dafür, daß die urältestenMenschheitsthemen wiederbelebt werden, indem die virtuellen Simulationsräumegegen Realräume gestellt sind und sich gleichzeitig mit Film- und Morphingtechnikneue Verwandlungsmöglichkeiten auftun.
Ein Bild aus den Zeichnungen zu den Terminatorfilmen habe ich "Wemgehört die Perspektive ?" genannt und möchte diese Fragehier kurz erläutern.
Die Perspektive, als Zeichentechnik in Griechenland vorbereitet und in derRenaissance vollendet, bildet als Wahrnehmungshaltung die Grundlage füralle optischen Geräte, mit denen man auf das Lebendige gucken kann.Diese Art Wahrnehmung wird heute als natürlich angesehen, ohne ihregeschichtliche Gemachtheit zu bedenken. Und so wird billigend in Kauf genommen,daß bestimmte Eigenheiten dieser Wahrnehmungskonstruktion alle kommunikativenStrukturen, Wissenschaft und Technik beherrschend durchziehen. Es lohntsich, diese Eigenheiten näher anzuschauen.
Perspektive funktioniert nur unter bestimmten Bedingungen. Aus der komplexenmenschlichen Anteilnahme wird alles herausgeschnitten, was einen reinenHerrscherblick stören könnte, also alles Wilde, Unberechenbare,Emotionale. Unter anderem ist der Herrscherblick verwandt mit dem älterenBlick des Jägers, der im Hinterhalt sitzt, der sehen und treffen will,ohne selbst gesehen und getroffen zu werden. Spannen ist ein machtvollesPrivileg. Es bedient sich der kristallinen Struktur der Perspektive, umvon einem unbeweglichen, fest justierten Augpunkt über ein Bündelvon Sehstrahlen auf einer Rasterfläche alles Berechenbare in Proportionenzu verhandeln. Was in der Renaissance als ein optischer Durchblick gestartetist, ist längst zu einem Draufblick geworden. Der Architekt Albertiwollte noch durch ein Fenster auf einen Ausschnitt der Welt gucken, waszur Entwicklung von Kameras, Mikro- und Teleskopen führte bis hin zurheutigen chirurgischen Endoskopie.
Die Idee, die euklid'sche Sehpyramide noch einmal quer zu schneiden, beinhaltetja schon die Möglichkeit, alles Räumliche in der Vorstellung beliebigzu schneiden und diese Schnittflächen visuell darzustellen. Deshalbgibt es bei Dürer schon Körperschnittzeichnungen, die so richtigerst die Computertomograhie ermöglicht.
Der Einsatz der älteren optischen Geräte wie Spiegel, Brille,Fernglas und Kamera setzte Kongruenz voraus. Die künstlich erzeugtenAbbilder mußten als der Widerschein eines Dinges durch eine anerkannteWirklichkeit gedeckt sein und dem Wahrheitsideal von der Übereinstimmungvon Denken und Sein entsprechen. Diese dokumentarische Qualität galt,besonders was die Fotographie angeht, bis vor kurzem. Mit den elektronischenÜbertragungsmöglichkeiten der Computer, die mit immer höherenAuflösungen und schnelleren Prozessoren Wirklichkeit simulieren können,Text- und Bilddaten austauschen, umwandeln, virtuelle Gebilde in dokumentarischeoder filmische Kontexte einkopieren können ist KONGRUENZ nicht nurnicht mehr gesichert, sondern sogar uninteressant geworden. Die kunstvollenGebilde der Symbol- und digitalen Rechenebene brauchen keine Deckung mehrim Reich der ausgedehnten Dinge. Dieses, was bisher "Realität"genannt wurde, ist aus dem Brennpunkt der geförderten Entwicklungsarbeitgerückt. Stück für Stück landet im imaginären Kulturmuseumund wird wiederum von einer Virtualität verwaltet.
Eine Schere beginnt damit in verschiedensten Bereichen aufzugehen. Die Kunsthat sich, seitdem sie eine Fülle von Funktionen an Fotographie undFilm abgegeben hat, mehrfach geteilt und neue Filialen gegründet. DieAbstraktion, Comic strips, Landkunst, Happenings, Copy art, Rauminstallationen,Computerkunst.
Die beiden letzteren lassen sich z.B. überhaupt nicht mehr qualitativvergleichen, da ihre Aufgabenstellungen zu verschieden sind. Rauminstallationenmit den dazugehörigen Objekten oder Malereien, die Wandstrukturen simulieren,haben fast religiöse Funktionen übernommen, indem sie das schwindendeBewußtsein für den realen Raum und seinen leeren Grund einklagen.Wer sich dagegen mit Computern befaßt, bewohnt völlig andereRäume, nämlich entweder die der digitalen Innovationen (Läßtsich etwas als Kunst formulieren, was für anderes gedacht ist?) oderdas kritische bis subversive Mitverfolgen neuer technischer Entwicklungen.
Psychotherapie z.B. sieht sich ähnlichen Funktionsbrechungen ausgesetzt.Während die Medizin sich der digitalen Völkerwanderung in denvirtuellen Raum angeschlossen hat und dabei ist, das Operieren am grünenStofffenster gegen Konferenzoperationen am Monitor auszuwechseln, erzwingteine gesteigerte Therapienachfrage genau die Beschäftigung mit wackeligund unklar gewordenen Realitäten wie Authentizität, Körperbewußtsein,der Wahrnehmung eigener Gefühle, den geeigneten Bewältigungsstrategienfür Abgrenzung, Einverleibung, Kontakt und und und.

Das Schlagwort VIRTUELLE REALITÄT (oder kurz: VR), 1989 von Jaron Lanierals Sammelbegriff für die unterschiedlichsten Projekte eingeführt,klingt, als wäre es gar keine. Als gäbe es neben den einfachenModalitäten möglich und faktisch noch Feinabstufungenwie reale Möglichkeit oder unmögliche Realität. Die Wirklichkeit,von der hier die Rede ist, heißt zwar virtuell, also der Kraft, demVermögen nach, entpuppt sich jedoch als äußerst handfest.Der Begriff VIRTUELL ist der Optik und der Physik entlehnt (virtuelle Teilchen...), inzwischen aber von der Computerszene belegt. Die ersten Projekte zur VRoder Cyberspace, wie von William Gibson in dem Roman "The neuromancer"getauft, waren fürs Militär finanziert, die nächsten fürdie Medizin und die Architektur, bevor große Firmen wie Nintendo,NEC oder Thomson Millionenbeträge in die Erkundung des Unterhaltungsmarktsinvestierten.
So nähert sich langsam die Erfüllung des Traums, der uns aus derWildnis geführt hat. Die perspektivischen Experimente der Renaissancehaben quasi die "Benutzeroberfläche" erfunden, aber auchneue Probleme geschaffen. Die Unbeweglichkeit des Betrachters und des betrachtetenObjekts, vor allem aber die schier unüberwindliche Trennwand zwischenbeiden. Diese Gucklochgrenze verschaffte zwar die Lust am gefahrlosen Spannensowie die Verfügungsgewalt über die Proportionsdaten der sichtbarenWelt, sperrte den Gucker aber bis auf sein Auge vollständig aus. Wasblieb, war der sehnsuchtsvolle Sog, die selbstgeschaffene Grenze, die Oberflächezu durchbrechen, um in den dahinterliegenden Vorstellungsraum einzutreten.
Nach den fotographischen Vorarbeiten von Muybridge und Marais ist es demFilm gelungen, die Starrheit der Perspektive scheinbar zu überwinden,indem die optische Fensterkonstruktion Bildchen für Bildchen neu aufgebautwird und der Betrachter durch seine Augenträgheit freiwillig getäuschtwird. Die VR verspricht mehr, nämlich das scheinbar komplette Eintauchenin den dreidimensionalen Raum, das eigenständige Agieren in ihm. Dazugehören zwei Systeme. Eins muß mit größtmöglicherAuflösung und schnellster Rechenleistung die simulierten Räumevorschlagen, das andere soll soviel sensomotorische Daten wie möglich sammeln, digitalisieren und den je passenden Umraum in Echtzeit präsentieren.Es kommt dabei zu der bekannten no-win-situation, daß nämlichder ständige Leistungsgewinn der Computer (die Hardware wird immerbilliger, die Rechenleistung vertausendfacht sich alle 20 Jahre) durch unersättlichsteigende Ansprüche wieder weggewischt wird.
Gelingt die Koordination zwischen Eigenbewegung und verursachtem Bild nicht,so kommt es zum sogenannten Simulatorschwindel, der zuerst bei frühenFlugsimulationen auftrat, aber nichts mit der alten Psychiaterangst vorschwindelnden Simulanten zu tun hat. Es war eine Funktion psychologischerGutachter, den Symptome vortäuschenden Simulanten zu entlarven, damitKongruenz, Deckungsgleichheit zwischen der Oberfläche des Symptomsund der Realität der Krankheit wiederhergestellt ist.
Auf so etwas legt die VR keinen Wert mehr, sie ist perfektes Täuschungsmanöverund die Rolle, die sie einer möglichen Psychologie überläßt,heißt bestenfalls Beraterfunktion "für die Farbgestaltungund alle psychologisch relevanten Gestaltungsfragen sowie für einepsychische Folgenabschätzung". (Sven Bormann, 1994)
Diese Folgenabschätzung dürfte kein leichtes Unterfangen sein.Es reicht nicht aus, nur auf die von einer Cyberspace-Konsole torkelndenSpieler mit Schwindelsymptomen zu gucken. Die Probleme der Virtualitätdurchziehen alle gesellschaftlichen Bereiche. Wer einen Kopfhörer aufsetzt,um Musik zu hören, muß mit erheblichen Schwierigkeiten rechnen,wenn er neben dem Eintauchen in einen virtuellen Klangraum auch noch joggen,radfahren und anderes machen will. Bereits mehr als ein Drittel aller Arbeitsplätzein den Industrieländern ist an das internationale Computernetzwerkangeschlossen und so schreitet der Prozess fort, der vollständige Menschenauf Auge und Tasten bedienende Finger an Terminals reduziert (Flusser) oderin der VR erst motorisch Behinderte produziert, bevor sie mit Datagloveund Datasuit im Cyberspace springen und fliegen können (Baudrillard).
Die VR ist keine bloße Möglichkeit, sondern hat sich als Wachstumsbrancheins alle angehende Faktische gestellt. Deshalb läßt sich auchkein "Realitätsverlust" einklagen oder wie früher beiSpengler "Verlust der Mitte" oder Heideggers "Seinsvergessenheit".
Die Schule des Fernsehens hat uns schon das Switchen durch Programme beigebracht,die Computerwelt wird die Notwendigkeit erzwingen, zwischen verschiedenenRealitätsebenen hin und herzuspringen.

Köln, 1995




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