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Hartmut Zänder: button-click . . . Gedankensplitter . . . home . . . mail
is the middle of the web

Die Privilegien eines einzelnen Machthabers brechen sich in revolutionärenZeiten um in die Freiheiten von Vielen. So zum Beispiel der »Pointde vue«, der kleine runde Aussichtspunkt im Giebel des französischenBarockschlößchens, von dem aus erst die perspektivische Ordnungdes Gartens einen vollständigen Sinn macht und der deshalb ausschließlichdem Souverän zustand. Diesen genießerischen Blick durften nachder Demokratisierung die vielen kleinen »Souverains« erstmaligmit auf ihren Müßiggang durch die neuen englischen Gärtennehmen.
 Oder die Machtfülle des Zaren, die sich ins kollektive »Wir«,in die Diktatur des Proletariats verteilt haben soll, das dennoch nie daswirkliche Subjekt der Geschichte werden durfte.
 Ein erhöhter Stuhl, ein Szepter, ein Mantel, ein Reichsapfel,eine Krone, damit konnte sich ein Herrscher alter Prägung den Respektverschaffen, der seiner Macht entsprach. Das alles sind jetzt alte Hüte,wie sieht es heute aus?
 Zu den letzten großen Machtsymbolen gehörten in den60ern und 70ern das rote Telefon und der berühmte »rote Knopf«,verblieben den beiden Präsidenten von Ost und West im kalten Krieg.Es drohte von beiden die globale Entfesselung der geballten Atomkraft.Die Fingerspitzen schwebten drohend über den Knöpfen, währenddie James Bond-Filme uns mit den entsprechenden Bildern über die explosiveGrundkonstellation der Welt aufklärten.
 Wer auf den Knopf drücken darf, verfügt über dieUrkraft, ist Auslöser, Verursacher, Veranlasser einer Handlung, dieautomatisch von selbst abläuft und bei der er keinen Finger mehr schmutzigmachen muß. Der Philosoph Günther Anders fragte den Piloten,der die Bombe über Hiroshima hat fallen lassen, was dies denn fürein Gefühl gewesen sei, Verursacher einer Handlung zu sein, ohne selbstvon den schrecklichen Auswirkungen betroffen zu sein.
 Das ist das Schöne am Knöpfedrücken, man behältden Überblick, bleibt draußen und selber unantastbar, in sichererDistanz wie ein Psychoanalytiker. Deshalb ließ sich mit den Knöpfenauch so schön werben. Zunächst für all die neuen Geräte,für Waschmaschinen und ihre Küchenverwandten, für Baumarktkramund Autos. Die fühen Knöpfe bewahrten als Kippschalter oder drehbareRadioknöpfe und Autoanlasser noch das Bild eines Hebels, der eineMechanik aus seiner Arretierung rasten ließ. Aber der wirkliche Durchbruchfür die Knöpfe kam in der expandierenden Bilderindustrie mitder TV-Fernbedienung, dem Ding mit tausend Funktionen, dem Vater der jetzigenHandies. Mit den künftigen rasenden Übertragungsgeschwindigkeitenwird nicht nur das Bildtelefon so ganz nebenher mitgeliefert, die Handieswerden auch mehr und mehr zu winzigen Cockpits im Web. Jeder Nutzer istPräsident mit der Macht über die Knöpfe, ist Kapitänund Steuermann im globalen Rechneruniversum, durch das Wirrwarr von MillionenSeiten navigierend, ist General und befehligt souverän und autonomüber die Marschroute, sprich die Surfwege.
 Jeder Internetnutzer befindet sich wie eine Spinne in der Mittevom Netz und darf glauben, er bilde den Nabel seines Kosmos. Diese Vormachtstellungergibt sich als Konsequenz aus der Grundstruktur des perspektivischen Guckens,die darin besteht, daß der Betrachter immer durch ein Raster, einGitter, ein Fenster, ein Display oder kurz: eine Art Bildschirm von seinemObjekt der Spannerlust getrennt ist.
 Das Sitzen vor dem Bildschirm hat dummerweise einen Haken. Zwarerzeugen die reliefartigen Window-oberflächen die Illusion eines Raumesmit gewisser Tiefe, in dem es Knöpfe gibt, die sich deutlich eindrückenlassen, die weiterführen auf andere Seiten, in andere Räume,andere Länder, neue Welten.
 Doch auch dem gläubigsten Surfer muß eines Tages klarsein, daß es in Wirklichkeit nicht weit her ist mit den neu gewonnenenFreiheiten, mit den abgelegten Machtklamotten, die für die jungenHerrscher bedeutungs- und wertlos geworden sind. Die Wahl der Fernseh-und Internetbenutzer ist ja nur die Wahl eines x-beliebigen Besuchers imKaufhaus. Er scheint sich aus freien Stücken aussuchen zu dürfen,was er will, doch bezahlen muß er in jedem Fall. Der Kontakt überdie Schnittfläche Display, beschränkt auf Augen, Ohren und Fingerspitzenreduziert sich letztendlich auf etwas, das Bedienung heißt, Fernbedienungeben.
 Also ist nichts mit dem Status eines Piloten oder Kapitänsoder Präsidenten, nichts mit der Mitte im Web, wir sind nichts alsKlick-Lieferanten, die die jeweils neueste Maschinerie durch die Aufmerksamkeitunserer »Eyeballs« in Gang halten. Anstatt genau im Nabel derWelt zu sitzen, findet man sich im Niemandsland wieder, allerorts umworben,aber dennoch anonym und ungeachtet. Diesem Umstand sollten die WebcamsAbhilfe verschaffen, die seit einiger Zeit Mode wurden. Sie stehen beidem Computer und eröffnen endlich die Möglichkeit, die der Fernsehkulturnoch fehlte, nämlich, daß die Dinge hinter dem Bildschirm zurückguckenkönnen auf den Menschen davor. Endlich kann so dessen ganzer Leibin den Fokus rücken, kann wahrgenommen und wertgeschätzt werden,kann live hereingenommen werden in die Welt hinter der Window-Ebene. Werkeine eigene Webcam besitzt, kann ja immer noch ein Foto von sich und seinerUmgebung ins Netz stellen, was ja auch Millionen auf ihren »privatehomepages« tun.
 Neben Portraits und Haustieren ist es vor allem der eigene Bauchnabel,der tausendfach fotographiert, eingescannt und ins Netz gestellt wird.All diese Näbel, bellybuttons, ombligos, nombrils, umbigos, pupoks,ombelici, navels aus allen Ecken der Erde scheinen gemeinsam zu schreien:
 Seht her, schaut auf mich, klickt mich, ich bin der wahre Button, ich bin die Mitte vom Netz!

Köln, im September 2000