Hartmut Zänder
»Sandro: Der Assistent der Badenden«


   Im Jahr 1989 hatte ich die großformatige Malerei zugunsten der Zeichenserie»Orbis TV pictus« zurückgestellt, die den ikonographischen Hintergrundjener Zeit, die wesentlichen Themen durch all die TV- und Filmmotive hindurcham besten zu fassen versprach. Diese Arbeit, die sich über etwa einJahrzehnt hinzog, war getragen von der tiefen Überzeugung, daßes künstlerische Aufgabe meiner Generation sei, den revolutionärenÜbergang vom Analogen zum Digitalen, vom Realen zum Virtuellen mitzugehen,zu reflektieren und in bündigen Formulierungen festzuhalten. Die vielenGenerationen vor mir lebten ohne Fernseher, ohne Computer, ohne Handy,von meinen Zeitgenossen trauen sich nur einige wenige daran, für dieJüngeren sind all diese neuen Dinge so selbstverständlich wieWasser aus der Leitung.

   Das Haus der Kunst hat viele Räume und in meinem wohnt die Verpflichtungzu einer umfassenden globalen Medienkritik. So war die Wendung vom analogenBildmaterial der frühen Medienzeit hin zur digitalen Computerweltmit ihren EYEBALLS als Quote und all den unbefriedigten BELLYBUTTONS vorden Webcams mehr als zwangsläufig.

   Das Bild »Sandro: Der Assistent der Badenden« von 1994 bedeutete deshalbfür mich ähnlich Revolutionäres wie die »Desmoiselles d`Avignon«für Picasso. Durch private Finanzierung eines Sammlers konnte dergeplante Digitaldruck auf einem der damals völlig überteuertendrei Plotter Europas in großem Format realisiert werden. Die folgendenTextstücke entstammen einer kleinen Dokumentation zu diesem Bild (Acryl auf Lwd., 232 x 278 cm ) und sind jeweils kursiv gesetzt.

Die Malerei hat seit dem Aufkommen visueller Apparate einenGroßteil ihrer Funktionen eingebüßt, hat an die Photographiedas Portrait, das Gruppen- und Genrebild abgegeben sowie alles Dokumentarische,hat dem Film Geschichten, Entwicklungen überlassen sowie das Figurierenund Psychologisieren. Die ebenso jungen Künste COMIC und GRAPHIK-DESIGNhaben sich des illustrativen Rests bemächtigt. Deshalb läßtsich die Geschichte der Malerei in den letzten 100 Jahren gleichzeitigals eine Geschichte des Rückzugs und der Verweigerung lesen, aberauch als ein Ringen um neue Spielräume und Funktionen ­ und dasalles im Industriediktat der Innovation und Serialität.

Was ist heute, 14 Jahre später in der Malerei anders?Das, was nicht abstrakt ist, soll heute mehr denn je Emotion und Schauspielsein ­ heißt: EXPRESS YOURSELF! INSCENE YOURSELF! Künstleragenturenmanagen ja auch keine bildenden Künstler, sondern Musiker und Schauspieler,bei denen sich die Presse deshalb auch alle erdenklichen politischen Betroffenheitskommentareabholt.

   Im Computer hat sich nun der Renaissancetraum vom allesbehandelndenRahmen durch die perspektivische Konstruktion erfüllt. Die Strahlender Sehpyramide sind zu digitalisierbaren Punkten geschnitten. Computersind so in der Lage, auf einer Arbeitsfläche ( Fenster/window ) alldas, was sich in Punkten rechnen läßt ( als 0 & 1 ) alsneue, simulierte Wirklichkeit auf- und umzubauen. Dies zeigt sich heuteschon als eine Unmasse von mathematischen und audiovisuellen Daten. Fürdie Verwaltung dieser Datenmengen sind Programme vorgesehen, die spezifischeAufgaben haben, die neuen, komplexeren heißen Assistenten. Sie sollenauf die individuellen konkreten Bedürfnisse von Benutzern eingehen,die langweiligen, immer wiederkehrenden Operationen selbstätig übernehmenund so für größtmöglichen Komfort sorgen.

Von Assistenten ist keine Rede mehr. Sie sind in den heutigenMegaprogrammen als winzige Skripte, Applets und Cookies unsichtbar eingebautund so von der obersten Bildfläche verschwunden. Sie erfüllennun still wie Geister ihre wichtigen Handlangerdienste. 1994 waren dieProgramme noch klein und handlich, passten noch auf wenige Disketten! Siesind in genau dem Maße aufgebläht und expandiert wie von Expertenprognostiziert. Rechnerleistung vervielfacht, Datenmengen in Schnelligkeitund Umfang explodiert und dennoch handlich und schmiegsam gemacht. WasHandlichkeit wirklich bedeutet, sehen wir erst heute so richtig im Blickauf die Flut der Handies und iPods, uns durch persönliche Ansprache,Bedienfreundlichkeit und hypes Design fast bis zur Ohnmacht bauchpinselnd.

Was in der Kunst früher Stil, Handschrift Manier hießund Teil der individuellen Auffassung und Gestaltungsstrategie eines Künstlersgehörte (Konzeption), wird im Computer als MODUS oder MODE bezeichnet.Dies ist die Art und Weise, wie Datenmengen zusammengefasst und bearbeitetwerden. So gibt es inzwischen im Bildbearbeitungsprogramm Painter schoneinen ĘImpressionismusmodus, der eingescannte visuelle Daten in genau dieserManier umformt.
Die Möglichkeit, Texte, Musik und Bilder zu digitalisieren undam Bildschirm zu verwalten und nachzubearbeiten, revolutioniert das bisherigeKulturgefüge. Schlagzeuger werden arbeitslos und selbst Fotographensollten heute ihre Fotos über ISDN-Leitungen verschicken.
Auf der CEBIT`93 wurden wandgrosse LCD-Bildschirme vorgestellt, dieein richtiges Heimkino erlauben. Ich stelle mir vor, daß in Zukunftauf solch großen Schirmen alle Digitaldaten verwaltet und behandeltwerden und zwar hochindividuell durch spezifische Assistenzprogramme. Dasie vielleicht das HDTV-Format (High definition television, 16 x 9) besitzen,habe ich mich für eine Gemäldereihe in diesem Format, umgerechnetauf 112 x 200 cm entschieden. Gleichzeitig wollte ich den Funktionsreichtummultimedialer Assistenzprogramme spielerisch für die Malerei nutzen.Bekannt ist, daß Computer Wirklichkeit in vielen Bereichen simulieren.Wie sieht das aber aus, wenn die Malerei diese Simulationsarbeit selbstwieder simuliert und reflektierend transformiert?Abwandlungen (oder Brechungen)sind dabei deshalb von ganz besonderem Interesse, weil sie alle Simulations-,Vervielfältigungs- und Übertragungsphänomene bestimmen.Jeder Apparat, ob Kopierer oder Computer, verändert das, was er bearbeitetund biegt es um in Richtung seiner eigenen Gestaltungsvorgaben. Am deutlichstenist dies vielleicht beim Kopieren von Kopien, wobei sich die bekanntenfraktalen Muster bilden. Bei Farbkopierern setzen sich zum Schluss diegeräteeigenen Grundfarben durch.
Auch bildende Künstler versuchen, ihre perpönlicheindividuelle Auffassung in der Bearbeitung visueller Daten oder Materialiendurchzusetzen und in einen kollektiven Hintergrund, der das jeweilige Verständnisvon Wirklichkeit regelt, einzubauen. Dies wird heute zunehmend erschwert,wie die Konkurrenz von immer mehr Geräten deutlich macht, daßeine künstlerische Konzeption nurmehr ein Bearbeitungsmodus untervielen ist, ein KNOW-HOW, ein Spleen oder eine heftige Rotzigkeit.


Im heutigen MySpace-Universum - 1997 von Tom ins Lebengerufen - mit seinen fast anderthalb Millionen Usern, in China noch einmalextra gespiegelt, scheinen meine alten Ideen zu dem Bild in ihrer endgültigenzeitgenössischen Gestalt angekommen zu sein. Auf den ersten Blickwird die Internet-Formel »user-Value=n*eyeballs« verständlich, dieZahl der Freunde und Fans ist sofort ablesbar, viele User outen sich bereitsin ihrem Fantasie-Namen als ein Modus unter vielen.

Bei den HDTV-Bildern kommen eine Reihe von Brechungen zusammen,das Interesse der Auftraggeber, bestimmte Extrawünsche, die Umwandlungender Bleistiftzeichnungen durch mehrfaches Kopieren, das Kolorieren mitFlüssigacrylfarben, das Einscannen, digitale Bedrucken und zum Schlußmeine eigene Art, Bilder zu planen und zu organisieren. Scannaprint isteins von mehreren Verfahren, auf einer 5 Meter breiten Walze mit einerArt Riesentintenstrahldrucker digitale Daten auf große Flächenzu bringen. Die Arbeiten für meine Bilder wurden von Foto Wendel inDüsseldorf vermittelt und der Firma Scannprint in Hamburg ausgeführt,wobei auf eine eigene 2,50 x 10 Meter große von mir grundierte Leinwandverwendet wurde.
Bei jedem neuen Gerät schauen wir vor der Installationauf die Gebrauchsanleitung und müssen oft eine Reihe von Programmierungenvornehmen. Deshalb auch diese Dokumentation.


Köln, 1994 / 2008

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