Hartmut Zaender: Aus dem Leben einer Schaufensterpuppe


1. , 2. , 3. , 4. , 5. , 6. , 7. , 8. , 9.





1. Vorwort

2. Il manichino ( die Gliederpuppe ) und Tintoretto's Männeken

Für viele sind Mannequins ja auch eine Art Schaufensterpuppe, dünnund steif und gerade mal gut genug, um Kleider daran aufzuhängen.Als »manichino« bin ich sozusagen die Großmutter allerMannequins, ein schlankes Gliederpüppchen, das so recht in den Geistder Rennaissance gehört. Die Bemühungen meiner Zeit, den Raumso genau wie möglich in der Perspektivenlehre zu berechnen, in einemRastersystem aus Senkrechten, Waagerechten und den entsprechenden Diagonalenbildlich unterzubringen, brachten so ganz nebenbei auch mich hervor. Irgendwiemuß der Mensch ja mit hinein in die Architektur und deshalb sollteauch er wie ein Häuschen aus lauter Linien, Strahlen und Punkten bestehen- oder, da wir ja dreidimensional und äußerst gebogen sind -aus Kuben, Röhren und Zylindren. Als kleines Modell für die flüchtigenSkizzen der Maler sehe ich jetzt so aus. Die meisten Künstler, dieAuftragsbilder mit vielen Figuren zu malen hatten, legten sich eine Sammlungvon kleinen Püppchen zu, Tintoretto zum Beispiel, der selbstgebauteGipshäuser voller Figürchen stellte und durch die Fenster mitKerzenlicht ausleuchtete. Püppchen und Fenster, eine erfolgversprechendeKombination.
3. Dürer und das liegende Weib

Es ist 1538 und ich liege auf einem unbequemen Holzbett, während AlbrechtDürer mich zeichnet. Leider hat er wenig Interesse an meinen üppigenFormen, vielmehr versucht er ernsthaft zu zeigen, wie man perspektivischrichtig zeichnet. Dazu hat er eine Art Fensterrahmen zwischen uns aufgebaut,in dem Schnüre zu einem regelmäßigen Raster gespannt sind,das in der gleichen Größe auf sein Blatt gemalt ist. Wenn ernun noch seinen Augpunkt festsetzt - dazu bedient er sich eines kleinenObelisken, über den er mit einem Auge guckt - dann kann er mich Kästchenfür Kästchen abzeichnen und erhält am Ende ein Bild, dasin den Proportionen haarklein stimmt.
Dürer hatte diese Methode keineswegs erfunden, er folgte einfachder damals neuesten Mode in Kunst und Architektur, die aus Italien kam.Es ging um Perspektive, um Fluchtpunkte, um die Frage, wie baue ich diemenschliche Figur ein in abgezirkelte Architekturentwürfe. Dies scheintgut zu klappen, aber ich merke, daß Dürer hauptsächlichauf das Raster im Fenster schaut und nicht auf mich. Na ja!

4. Das Guckloch im französischen Garten ( der Point de vue desHerrschers )

5. Der Passant im englischen Garten ( der Blick lernt spazierengehen)

6. Die Zeitmaschine ( der Blick beschleunigt sich )

Worauf blicken Helden denn so? In dem Film »Die Zeitmaschine«nach dem Buch von H. G. Wells stehe ich jedenfalls mitten im Zentrum desheldischen Interesses. Während er in seiner Maschine sitzt, einemaltmodischen Schlitten mit einer grossen rotierenden Satellitenschüsselhinter sich und an seinem kristallinen Schalthebel spielt, ruht sein Blickmit Wohlgefallen und Neugier auf meiner konstanten Gestalt in ihrem modischenWechsel. Er und ich sind die ruhenden Pole in der Flucht der Zeiten, wieer richtig bemerkt. In einer innigen Klammer über die Jahre verschränkt,übt er allerdings bereits das schnelle Zappen, auch wenn er noch nichtüber die perfekte Fernbedienung verfügt. Später im Filmdarf ich dann als Weena, einem dummen Blondchen in einer Welt ohne Mitgefühllebendig werden und er kann mir nach meiner gelungenen Rettung seine Jackeumhängen. Ganz der Gentleman, auch wenn ich denke, daß er mehran seinem schnellen Blick und der Beherrschung der Zeit interessiert ist.
7. Der Kunde König betritt den Fahrstuhl und die Rolltreppe

8. Die Mannequins im Schaufenster

9. Die Puppen werden virtuell


+ + + essays: general info + orbis TV pictus: general info + domain: public homepage + e-mail + + +