Hartmut Zänder
»Die Phantastische Reise ins Innere des Körpers«

Ein Beispiel aus der Bilderwelt

Es geht um unsere optischen Grundeinstellungen, derenGeschichte und Auswirkungen heute. Es geht um eine künstlerische Kritikan künstlichen Weltkonstruktionen. Dies geschieht mit dem Rückenzur Wand; denn von Beginn des griechischen Denkens an war jegliche Kritikden sprachbegrifflichen `sophen und `logen vorbehalten, während alles Anschauliche auf der Seite des Sinnlichsündhaften und unberechenbar Irrigen verrechnet wurde. Wenn ich heute zu meinen eigenen Bildern auch noch etwasschreibe, dann nur, um die Zeigefingerfunktion der Spracheauszunutzen. Noch nie haben wir uns einer so großenund perfekten Bilderflut gegenüber gesehen und nochnie waren wir dafür so wenig gerüstet. Das Fernsehen, mitdem ich seit Jahren in erster Linie arbeite, macht aus uns hilfloszappende Kinder, lauter kleine Al Bundies, die die Herrschaftdes Infantariats einläuten.


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Die Waffe zu heilen
und zu töten


Deshalb gehe ich bei meinen Bildern jetzt so vor: Ichsehe mir alles an und speichere vieles auf Video. Ich zeichnemit Bleistift auf DIN A4 Papier einen Bildschirm repräsentierenden Rahmen, suche mir in den Videosplittern ein mehrdeutigesBild mit Eröffnungsqualitäten, stoppe das Bild zumZeichnen und wiederhole dies zweimal, bis ich eine in sich zusammenhängende Dreiersequenz erhalte. Bei einigen Blättern istder Zusammenhang von vornherein gesucht und beabsichtigt, bei anderenergibt er sich scheinbar zufällig nach einer mir erst spätersichtbaren Logik. So entsteht über Tage, manchmal Wochen einBündel von Einzelzeichnungen und in sich zusammenhängenderSerien, die ich 1:1 auf Karton photokopiere und anschließend, oftMonate später von Hand koloriere. Intendiert ist ein ORBIS TELEVISIONIS PICTUS, eine Bestandsaufnahme all dessen, was im Fernsehenso läuft. Ich arbeite und spiele mit den Motiven, diedas TV täglich wiederkehrend liefert, Köpfe, Autos,Busen, Apparate, Sprünge, Explosionen. Ich habe so etwas wie Bildgedichte,kleine visuelle Haikus im Sinn, die die heute abgedroschenenMotive zu anderen Themen binden und in neuen Zusammenhängenerneut besinnbar machen können.

Das Fernsehen gehörtgemeinsam mit Bruder Computer zu der Klasse der Apparate, die wir seitder Renaissance erfunden haben, um, selbst ungesehen, aufdas Lebendige zu gucken. Das, was als fensterhafter Durchblick gestartet ist, ist heute zu einem Draufblick geworden,der unsere Kann- und Sollwelten auf einem Interface mit WINDOWS verrechnet, ohne weiter für eine angemessene Deckungim Bereich der realen Erdwelt zu sorgen. Die Schnittstelle, in deralten Perspektivelehre von und für Maler/Architekten entwickelt,ist längst kein transparentes Medium mehr, sondern bautin einer eigenen körnigen Digitalsprache die Wirklichkeitneu auf. Fatalerweise beginnt in dem Moment, wo sich die uralten Männerträume zu verwirklichen scheinen, dieWirklichkeit ins Traumhafte zu verflüchtigen. Der alte Männerwunsch,als Jäger im Hinterhalt zu liegen, die Beute zu sehen, ohne selbstgesehen zu werden, zu treffen, ohne selbst getroffen zu werden,hat sich in Foto/Film, in der Röntgentechnik, der Computertomographiemehr als erfüllt. Was wollen wir mehr als einen intelligenten Penis in Form einer cruise missile oder eines Ultraschallvibrators, der penetrierend ins Innere des Körpers dringenund nach Herzenslust spannen darf.


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Meister Eckhard`s Hohelied

Fragen nach solchen Zusammenhängen -"Was bewirkt eine perspektivische Haltung den lebendigenund toten Dingen gegenüber? Wieso sind sich militärischeund medizinische Operationen in ihrer Nomenklatur und Strukturso ähnlich? Warum springen so viele Leute in der Werbungund wieso fliegt im Fernsehen dauernd etwas in die Luft? " - habenmeinen Blick bei den TV-Bildern von Anfang an auf solche Motiveund Filme gelenkt, die beispielhaft etwas über sichselbst zeigen können. Filme wie Hitchcock`s "Fenster zum Hof","Vertigo", Greenaway`s "Kontrakt des Zeichners" oder "Bauch des Architekten" erzählen nicht nur spannende Geschichten,sondern offenbaren zugleich die möglichen Konsequenzen unserer perspektivischen Wahrnehmungskonstruktion. Rossellini,Powell, de Palma wären andere Beispiele dafür, wieein künstlerisches Medium transparent mitreflektiert werden kann.

Mehr nochals diese bewußt konstruierten Filme interessierenmich kommerzielle Unterhaltungsfilme und Serien. "RAUMSCHIFF ENTERPRISE", "BAYWATCH", Tarzanfilme verbraten hemmungslos unsere mythologischen Altlasten und passen sie der jeweiligen zeitgenössischen Beschleunigung an. Aus 18 J.Bond-Filmen habe ich in 143 Bildern eine "Schule der Sprenglebendigkeit" verfasst. Dazu gehörig wartet noch eine Füllevon Olympiakassetten und Riefenstahlfilmen auf eine Verarbeitungals "Schule der Springlebendigkeit".

Wer einmal mit Filmenin Berührung kommt, muß mit wie bei Hans im Glück,ob er will oder nicht. Offensichtlich haben in unserem überlebensgepäck Bewegungsgestalten Vorrang vor stehenden Bildern. Nur,wer den Filmhandlungen folgt, ist kaum mehr in der Lage, dieHerkunft und Reichweite der darin spielenden MOTIVE eigens zubedenken (das, was die Geschichte und uns bewegt). Dies ist derGrund, weshalb ich die Bewegung des Fernsehens anhalte, die unterschiedlichen MOTIVE zu anderen THEMEN ordne.

Hiernun ein Beispiel:

Vier Zeichnungen zu einem amerikanischen low-budget-Film der 50er Jahre, "Die phantastische Reiseins Innere des Körpers". Es kann nicht darum gehen,die Bilder zu erklären oder auszudeuten, sondern den konzeptionellenRahmen abzustecken. Das Wort BEISPIEL gebrauche ich im Bereichdes anschaulichen Denkens analog zu Wittgenstein`s SPRACHSPIEL. Beispiele liefern die Modelle, wie etwas anzusehen ist,also Optiken, anschauliche Muster, plastische Konstruktionsprinzipien und immer zugleich eine konkrete Erscheinungsform. Andersherum, jedes einzelne anschauliche Ding transportiert beispielhaft Anleitungen zu seiner Gestaltungswiederholung oder Abänderung wie auch eingrenzende Vorgaben zu seinem angemessenen Verständnis. Beispiele existieren nicht von sichaus, sondern werden dazu von uns gemacht. Was also könnte aneinem alten Unterhaltungsfilm spannend sein?


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Nackenschmerzen

Es geht bei dem Filmum ein Abenteuer, an dem Militärs, Ärzte und Konstrukteure sowie die unvermeidlich sexy Frau beteiligt sind. Eine U-Bootmannschaft wird so weit verkleinert,daß sie mitsamt U-Boot in die Blutbahn eines Gehirntumorpatienten,der gleichzeitig auch noch "Geheimnisträger" ist, eingeschleustwerden kann. Ein modernstes mitgeführtes Lasergerät soll den Tumor wegschiessen. Sie fahren durch Arterien (Folientunnelmit roten Bläschen), Venen (dasselbe in Blau), geratenin Wirbel und Blutstrudel, müssen sich gegen Killer- und Fresszellenwehren, tanken Sauerstoff aus Lungenbläschen und müssenzudem noch einen Saboteur unschädlich machen, bevor sie nach gelungenerOperation durch einem Tränenwhirlpool aus dem Auge geschwemmtwerden.

Der Film scheint wie so viele SF-Streifen unsere heutigen endoskopischen Möglichkeiten sowie das Operierenam Monitor vorwegzunehmen. Untergebracht sind in ihm merkwürdige Kleinthemen wie "Big brother is watching you", ein "Striptease vor dem Laser", die "Rettung der Heldin aus dem Glibber",das drohende "Lost in space" u.v.m.. Weiterhin spielt indem Handlungsstrang "Sabotage" noch eine Scheinpolarität.Da ist der GUTE, fortschritts-, wissenschafts- und überhauptgläubig, voller Respekt und Bewunderung für das Geheimnisdes Lebens, für die Exotik der Reiseschauplätze. Der Gegenspielerund Störenfried übt hier schon für die Rolledes bösen Dr.Blofeld in einigen späteren J.Bondfilmen. Er ist dafürvorgesehen, alle möglichen Übel der WISSENSCHAFT auf sich zuziehen und zum Schluß mit in sein Fresszellengrab zu nehmen, Kaltherzigkeit, mangelnder Respekt vor dem Leben, die Bereitschaft, diehohen Ideale der Wissenschaft zu verraten und zu zerstören.Er soll im Film die Operation verhindern und so den Patienten mitsamt seinem Agentengeheimnis umbringen.

Die bekannte Botschaft lautet: Die Errungenschaften der Wissenschaft lassen sich zu Wohl oder Wehe der Menschheit einsetzen, je nachdem,ob sie in den richtigen oder falschen Händen liegen. Wir sollenglauben, es gäbe eine gute oder schlechte Nutzung von soetwas wie Atombombe, Giftgas oder Gentechnik. Das sinnfälligeBild im Film dafür ist der Laser. Er kann das Böse, hierden Tumor, oder das Gute, in "Goldfinger" den so bedrohten James Bond zerstören.Der LASER, in RAUMSCHIFF ENTERPRISE avanciert er sogar zumPHASER, gehört mit der Atombombe zu den Grundfaszinosa unseres Jahrhunderts. Gebündelte Strahlenenergie!


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Striptease vor dem Laser

Der Film breitet spielerisch aus, daß wir ins Innere des Körpers genausogut abenteuerlich reisen können wie ins Äußereder Welträume. Die Anschauung der WELT beherrscht alleHandlung, und ist hier wörtlich gemeint. Als die Maler undArchitekten der Renaissance aus den Grundzügen der euklidschen Optikdie Perspektivelehre entwickelten, haben sie damit eine Wahrnehmungshaltung installiert, die in ihrer Formulierungals Foto/Film/Computertechnik bis heute alle anderen Anschauungseinstellungen aus dem Rennen geworfen hat, und das weltweit. Was mich als Künstler dabei interessiert,ist die figurative Logik und Geschichte der uns durchflutenden Bildzusammenhänge. Die perspektivische Wahrnehmungskonstruktion besteht aus der Fixierung der ab da gültigen Subjekt-Objektrelation, die von Beginn an als ein Bündel (fascis) von SEHSTRAHLEN begriffen wurde.
Die grosseInnovation der Renaissance bestand darin, zu den Seitenschnittender griechischen Sehpyramide noch einen weiteren Schnittquer durch die Sehstrahlen zu legen, der als Verrechnungsebene füralle quantifizierbaren Größenverhältnisse(Proportionen) gelten sollte. Schneidet man ein Bündel Strahlen, so erhältman ein Bündel Punkte und die lassen sich digitalisieren,wie wir heute wissen. Im Zuge der Entwicklung der optischen Apparatehaben sich die Funktionen dieser Schnittebene verschoben. Wasals wirklichkeitstreues FENSTER gestartet ist, durch dashindurch wir auf Reales gucken können (:perspicere), istheute zu einem Ort für Rekonstruktion und Simulation geworden,auch wenn es noch den Namen WINDOWS beibehält.

Die modernen INTERFACES sind undurchsichtig geworden,sie verrechnen Reales und Virtuelles zugleich. Fortan sindwir zu der Unsicherheit verdammt, ob das, was auf Monitorenerscheint, noch durch Wirkliches gedeckt ist oder nicht. Im Sport,in der Werbung, in Filmen feiern wir die Bilder unserer Springlebendigkeit, die sich bei den EnergiebündelnLASER und ATOMBOMBE zur Sprenglebendigkeit potenziert, wozu auchder moderne Schöpfungsmythos vom BIG BANG gehört.Ins Springenkönnen ist das Fallenmüssen eingebaut, und wir träumendavon, all unsere Notfälle, Unfälle, Abfälle aufder Simulationsebene abzuhandeln. Das ist ein Irrtum!

Hartmut Zänder,
Köln 1993

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