Hartmut Zänder
Orbis televisionis pictus

"Mister Big Bang"

Eine Schule der Sprenglebendigkeit


156 Arbeiten zu 20 James Bond-Filmen.


Mr. Big Bang: So nenne ich den vertrauten kalten Krieger,eine Mixtur aus Gilgamesch, Prinz Eisenherz, Philip Marlow und Rambo, deruns als Held aus all den James Bond-Streifen entgegentritt. Aus Standbildernder ersten 15 Bondfilme habe ich eine Sammlung von 120 Zeichnungen zusammengestellt,die als »Schule der Sprenglebendigkeit« einen Themenkreis derSerie Orbis TV pictus beleuchtet.
Diese Filme sind reine Unterhaltungsfilme, d.h. sie sind zwischen den ernstenDingen des Lebens angesiedelt. Bond ist Geheimagent im Auftrag, er sollfür seine Regierung, für die Konstrukteure und für uns nachgucken,ob sich im Geheimen und Verborgenen, dem, was längst nicht mehr einsehbarist, weil es ohne Unterbrechung rund um die Uhr geschieht, neue Kräftebilden, die sich terroristisch unserer Computersteuerung und der Atomkraftbemächtigen wollen. Diese virushaften, bösen Kräfte hat eraufzuspüren und mit seiner Lizenz zu töten unschädlich zumachen. Er gehört somit zum Immunsystem des modernen, kybernetischenKultur- und Industrieorganismus, der auf Selbststeuerung, Homöostase,balance of powers ausgerichtet ist.
Mr. Big Bang läßt uns träumen, daß die Fülleder realen Bedrohungen, die unsere heutige Schnittstellenwelt durchzieht,in vereinzelten Bösewichtern oder Terrororganisationen lokalisiertund vernichtet werden kann.
Wir sollen glauben, daß das Verbrecherische und Böse immer nurmit einzelnen Eindringlingen, Störenfrieden und Tyrannen zu tun hatund nicht mit der Struktur des zivilatorischen Systems selbst. Auch vieleKrimis, ob geschrieben oder verfilmt, fassen das Kriminelle gewöhnlichals Störung der Kultur- und Rechtswelt auf und unterschlagen die simpleTatsache, daß alle unsere Kunstwelten schon ein Durchbrechen (crimen)und Verdrehen ursprünglich wilder Naturgegebenheiten darstellen.
Filme spielen mit von der bildenden Kunst lange zuvor erarbeiteten Bildern,die jeweils zu einem Blick zusammenfassen, wie Wirkliches gesehen und verstandenwerden kann und setzen diese Bilder in Bewegung, inzwischen immer schnellerund atemberaubender. Für die Zeichnungsserie OTVP schaue ich mir diesebewegenden Motive einzeln in Standbildern an, zeichne sie vor dem Monitorund ordne sie zu kleinen Dreibildeinheiten, für mich visuelle Haiku,um sie in solcher Brechung wieder sichtbar und besinnbar zu machen. Ichbetrachte Filme generell als eine Art von Schule, die uns Sichtweisen, Einstellungenund Auffassungen anbietet, wie mit Wirklichem umzugehen ist.
Die Bondfilme geben sich als reine Fiktion und lassen in ihrer parodistischenÜberdrehtheit keinen Zweifel aufkommen, ob wir Entscheidendes nichtdoch für bare Münze nehmen sollten. Was mich an ihnen wegen seinerbestechenden Logik anzieht, sind die verschiedenen Bilder von Spannern mitall ihren optischen Geräten, den dazugehörigen Sexualobjekten,den eingesperrten und manchmal rausgelassenen wilden Tieren, den diversenFahrzeugen, den teuren Tourismusschauplätzen und vor allem, wie ständigetwas in die Luft fliegt. Für die ganzen Nach-Bond-Actionserien existiertschon eine eigene Autocrash-Industrie.
Andauernd explodieren Autos, Häuser, sogar Leute, was anscheinend immerwieder gern gesehen wird.
Ich behandle die Bondfilme als eine »Schule der Sprenglebendigkeit«,die uns Muster an die Hand geben soll, wie wir die in ihrer Konsequenz unausdenkbarenExplosionen nicht vielleicht doch vereinzelt ein bißchen denken undangucken können.
Die ausgewählten Motive decken sich nicht unbedingt mit dem, was dieverschiedenen Gesellschaften, die mit dem Artikel Bond ihr Geld machen,als typisch Bond vorgeben. Diese Arbeit ist nicht als Huldigung, aber auchnicht als Parodie gemeint. Es stellt den Versuch dar, auf unkonventionelleWeise eine Art visueller Forschung zu betreiben, oder auch eine Philosophiein Bildern.
Zu den einzelnen Filmen sind unterschiedlich viele Zeichnungen entstanden.
Köln, 1993


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