4. Le point
( der Punkt )

   Da war es wieder. Tina Liesegang hatte ganz normal geklopftund nach einem kleinen Anstandszögern geöffnet. Sie trug bereitsihre Streifenmontur, den Helm unterm Arm. Um neun gings unten los mit Achmed,dem Dribbler. Das müßte der jetzt sehen! Onkel Heinz hatte ihrja schon von diesem merkwürdigen Verhältnis erzählt. Dastand Conchita, die spanische Putzfrau, die hier um diese Uhrzeit dochgar nichts mehr zu suchen hatte, in ihrem hellblauen Nylonfummel mit demdunkel abgesetzten Kragen und hielt den zwei Meter langen FC-Schal hochüber sich in die Luft. Das eine Ende kringelte sich noch im Papierkorb.Die andre Hand in den Hüften, ganz Anna Magnani, blickte sie strengauf Niedel-Scherer herab, der sich wie ein Schuljunge krummrückigin wichtige Papiere verkriechen wollte.
   »Wasisdaas schon wieder?« fragte sie mit hochgezogenenBrauen. Er wand sich unter Qualen. Tina wußte von Onkel Heinz, daßConchita bisweilen auf einen Kaffee hochschaute, dreiundvierzig und alleinerziehendeMutter von vier Kindern war, daß Niedel-Scherer sie insgeheim fürihren unbeugsamen Lebensmut bewunderte und vielleicht sogar ein bißchenin sie verliebt war. Das würde der aber im Leben nicht zugeben. Jedenfallsschien sie die einzige Frau zu sein, die er halbwegs respektierte, vonTina mal abgesehen, aber die kannte er ja schon, als sie noch Kind war.
   »Nun geben Sie schon her!«, grummelte er mitausgestrecktem Arm, ohne die Augen von den Papieren zu lassen. Der FC mußalso gestern wieder gespielt haben, mit üblichem Ergebnis! Er knüllteden rot-weißen Schal zusammen und stopfte ihn zurück in dieunterste Rollschublade, die mit den Telefonbüchern.
   »Ach, Tina. Komm rein.« Er seufzte, nun endlichhochblickend, lehnte sich in seinen Kippsessel und lächelte Conchitaan, die Mundwinkel seitlich eingeklemmt, sodaß die komplette Kinnpartieaussah wie eine Handvoll Seifenblasen.
   »Ich muß dann wieder mal, Scheffe.«Sie sah Tina, die lächelnd zurücknickte, neugierig und warmherzigan.
   »Ich wollte nur kurz vom Turnier berichten«,fing sie dann an, als die Tür sich schloß, »ich mußja gleich auf Streife.«
   »Ach! Darauf wär ich nie gekommen.« Ergrinste. Tina gab ihre geraffte Darstellung ab mit Betonung auf die Hinweisevon Monsieur Raymond.
   »Vielleicht sollten wir uns mal in Frankreich nachden näheren Umständen bei der Sache mit >Le Parisien< erkundigen«,faßte Tina ihren Bericht zusammen.
   »Gute Arbeit, Liebschen. Und echt gute Idee.«Er kramte in seinen Notizen.
   »Also, du willst etwas Genaueres über diesenPariser erfahren? Hieß eigentlich Marceau Narcy und kam im Juli 1969auf Anhieb ins Finale der Marseillaise, wo er 15:11 verlor, aber seitdemein Star war mit seinen jungen neunzehn Lenzen. Liebte das Geld und einlockeres Leben, war ziemlich korrupt und hatte eine Reihe von getürktenPartien gespielt, was immer ein paar Leute zurückläßt,die sauer sind. Als es ihm zu heiß wurde, ist der wieder nach Paris,wo sie ihm nur ein paar Monate später in einem Hotel mit Rasierklingendas Gesicht geschlitzt und beide Hände gebrochen haben. Aus mit derglänzenden Karriere, der hat nie wieder spielen können.«Als er die plötzliche Versteinerung in Tinas Gesicht bemerkte, schober einlenkend nach.
   »Komm, sei nicht enttäuscht, Mädchen,aber ich sitz hier auch nicht nur meinen Arsch ab. Die Sache mit der aufgebrochenenTür gefiel mir nicht und mit den Franzosen wollte ich einfach nursicher gehen. Wir sollten uns noch von den hiesigen Spielern eine genaueBeschreibung geben lassen und den Kollegen runterfaxen. Die zwei Kerlesind garantiert schon wieder in der Heimat. Wenn die ihm nur auf die Fingergeklopft haben, wird für uns nicht viel drin sein!«
   Tina nickte, schon halb zum Gehen gewandt.
   »Und was für eine Theorie hast du zu der Tür?«
   »Für mich gibt es nur folgende Möglichkeiten.Von der Bosch wissen wir ja, daß es zwei Kerle waren, die sie selbstreingelassen hat. Hatten vielleicht die gleichen Motive wie die Typen damalsbei dem Pariser - kann durchaus sein. Der eine betäubt die Mutterund fesselt sie in der Küche, der andere hält dem Sohn ein Stilettan den Hals und sie besorgen es ihm dann beide. Frage ist: Haben die demnur die Hände gebrochen und ein bißchen das Gesicht geritztoder die ganze Arbeit geleistet? Das wissen wir einfach noch nicht. Aberdie Tür war aufgebrochen. Also entweder haben die drinnen ihren Paßvergessen oder sonstwas - sind nochmal zurück und diesmal konnte ihnenja keiner aufmachen, aber das glaube ich, ehrlich gesagt nicht, oder aber. . . «, und er erhob die Stimme, »da kam nach denen noch einerund hat diese Tür aufbrechen müssen - und dann ist die weitereFrage: Hat der sich das Trauerspiel nur angeguckt oder hat der den Boschnoch lebend angetroffen? Quasi auf dem Präsentierteller, festgebundenmit schon gebrochenen Händen und artig geknebelt. Hat sich die Händchengerieben und ihm dann den Rest gegeben.«
   »Vielleicht ein andrer Franzose?«
   »Für meinen Geschmack wären das ein bißchensehr viel Franzosen hier. Allerdings, der Bosch war ja erst seit letzterWoche in Köln und vorher zwölf Jahre überhaupt nicht! Wenndas einer von hier war . . . da liegt doch keiner all die Jahre hintermBusch auf der Lauer und wartet, bis der sich gnädigst dazu bequemt,mal wieder vorbeizuschauen!«
   »Also müssten wir gucken, mit wem der Boschverkehrt hat, bevor er nach Frankreich ging.«
   »Du sagst es!«