Hinfahrt

   Bis Paris war der Verkehr ja erträglich gewesen, aberschon die Fahrt um den Ring drohte in der späten Berufszeit zu ersticken.Sie wurden, je nördlicher sie kamen, von der gleichen trübenWelle erfaßt, die tagein, tagaus die sechs, sieben Millionen Parisermorgens erst in die Stadt hinein, abends dann wieder herausspült.Sie begannen entnervt zu zanken, das erste Mal in ihrem Leben so hoch imeiskalten Norden. Ganz früh waren sie diesmal aufgestanden, der langeDominique hatte sich gleich gestern abend von seinem Schwager aus Cassisrüberbringen lassen, damit sie heute direkt um halb sieben aufbrechenkonnten, hinaus aus dem verschlafenen La Ciotat, der Wiege des Films unddes Pétanque.
   Jetzt drohten einem doch tatsächlich diese ScheißPariser, weil man nicht immer schnell genug und richtig reagierte in diesemmontäglichen Feierabendstau. Hände flogen zwar bedrohlich hinund her, doch blieb jeder in seinem Auto.
   »Guck doch nochmal auf die Karte, Bébèrt,ob wir hier nicht irgendwo runterkönnen. Das nervt mich jetzt wirklich«,brüllte Dominique fast, weil ihm alles so schreiend laut erschien.
   Ein heißes »Et ta soeur?« warf er demhageren Araber im Nebenauto zu, der ungeduldig gestikulierte.
   »Laß diese Blödmänner doch einfachin Ruhe. Sieh zu, daß du schön in deiner Spur bleibst!«Bébèrt hatte seine liebe Mühe damit, die Karte zu entfalten,richtig herum zu sehen und er bibberte in seinem gelb-schwarzen T-Shirtund Dominique war auch nervös und so zankten sie halt weiter, aberdas taten sie schon ihr Leben lang - das hatte überhaupt nichts zusagen. Eine halbe Stunde hinter Paris kamen sie endlich runter, verfuhrensich noch zweimal, aßen in einem kleinen Fernfahrerlokal Innereien,so richtig gut und garnicht mal teuer, dann gings weiter Richtung Norden,parallel zur Autobahn. Sie waren wohl schon tief in Belgien, als der Kopfvon Bébèrt stumpf gegen die Scheibe knickte und er leisezu schnarchen begann. Der Mund stand offen und der Schnäuzer zitterteleicht bei jedem Atemzug. Ein schwarz-wattiges Unwetter hatte sie von linksher eingeholt und zerrte und rüttelte nun an der alten Kiste. Dominiquerümpfte angewidert die Nase und zog die Mundwinkel nach unten.
   Le nord.
   Er klebte schon fast an der Scheibe des alten R4, weildie Scheibenwischer matschten und er immer hin und hergucken mußte.Er glaubte, sich schon wieder verfahren zu haben, als sie in ein Industriegebietkamen, in der Gegend vor Lüttich. Da waren nur noch Rohre und Lichter,verwirrend endlos, zugleich duster und trotzdem hell und außer ihnengabs überhaupt kein Auto mehr.
   Sie werden das Schwein schon erwischen, sagte er sichwieder und wieder. Der war bestimmt in Köln abgetaucht und verstecktesich. Eine Adresse hatten sie zwar nicht, aber sie würden ihn finden,da war er ganz sicher.
  Der dicke Zézé aus der Bar du Midi hatte ihm einenliegengebliebenen Stadtplan von Köln mitgegeben. Sie werden ihn schonfinden. Sie werden rumhören, wo sie in Köln Boule spielen. Irgendeinerwird ihn schon kennen und dann werden sie ihn festnageln und er wird endlichkriegen, was er verdient. Sie waren sich einig. So wollten es genauso machenwie die Jungs damals in den Sechzigern mit »Le Parisien«. Derhatte auch seine eigenen Mitspieler beschissen, hatte extra verloren undvon den anderen kassiert, als es um die richtige Kohle ging. Und das wohlnicht bloß einmal.
   »Nicht mein Tag heute«, hatte er gesagt oder»die waren echt gut, das war doch ganz knapp« ein andermalund sie hatten sich schwarzgeärgert, aber es durchgehen lassen müssen.Wer kommt denn schon gleich auf sowas. Sie waren doch Copains, Kumpel.Kann ja alles passieren. Du hast halt einen schlechten Tag, bist nichtgut drauf. Aber nachdem ihm neulich klar wurde, daß das gar keindummer Urlauber aus Nizza war, den sie beim letzten Mal ausnehmen wollten,sondern ein richtig abgewichster Profi aus Cavalaire, ist er hingegangenund hat ihn einfach gefragt, wie das war. Und der Kerl lacht auch nochgehässig, gab's zwar nicht direkt zu, hat's aber auch nicht abgestritten.Nur PDM hätte er ihn zum Schluß nicht nennen sollen. Dann hätteer ihm auch keine reinsemmeln müssen.
   Das Beste wäre, sie würden ihn heute noch erwischenund sich gleich wieder unauffällig verpissen. Aber da sah er ein bißchenschwarz. Wer spielt denn schon Boule bei so einem Sauwetter, selbst wennHochsommer ist. Sie jedenfalls nicht. Aber sie werden ihn kriegen und sie werden ihm seine feinen Händchen zertrümmern, die, mit denener so schöne Carreaux schießen konnte, wie am Schnürchen,den rechten Arm wie eine Antenne ruhig in die Höhe gereckt. Wie auseiner Maschine flogen die Kugeln dann in hohem Bogen, eine wie die andereund blieben fast immer liegen.
   Eigentlich unvorstellbar, besonders für einen Deutschen.Aber das wird er demnächst nicht mehr können, wenn sie mit ihmfertig sein würden. Wenn sie ihm mit seinen eigenen Kugeln, diesenteuren und superharten Boules bleues ein bißchen auf die Finger geklopfthaben würden.
   Diesem Boche.
   Diesem dreckigen >Boche bleu<.