Seminar 5:

"REZEPTE"


Über Strategien der Selbst- und Fremdbehandlung


Kochrezepte bilden die Grundlage für dieses Seminar. Nach einerEingangsbesprechung über die persönliche Einbindung in die Traditionvon Familien- und Regionalrezepten werden die von den Teilnehmern mitgebrachtenKochbücher gesichtet und die Entwicklung der letzten Jahrzehnte bishin zu der Inflation von Bedienungsanleitungen nachvollzogen. Rezepte legendie Behandlung von etwas fest und sind gleichzeitig eingebunden in einesie tragende und prägende Konzeption (Spanische Mystik, ItalienischeKüche, Zen, Techno u.a.).
Die bildnerische Auseinandersetzung mit Rezepten kann den Umgang mit Eßstörungenerleichtern, bei denen die enorme Diskrepanz zwischen den Rezepten fürsich (in Würfel geschnittenes Käsebrot) und denen für andere(experimentierfreudige opulente Mahlzeiten) bekannt sind. Darauf sind dieersten beiden Übungen bezogen.

Übung 1 + 2: Eigene Rezepte
Die Teilnehmer sind angehalten, zwei verschiedene Rezeptversionen bildnerischzu illustrieren und zu gestalten. Wie sieht das aus, wenn ich etwas fürmich ganz alleine koche und Wie sieht das aus, wenn ich für anderekoche? Manche gehen dabei chronologisch vor, indem sie die RealabläufeBesorgen, Zutaten auslegen, Zubereiten, Kochen und Anrichten analog in Bilderreihenbringen und somit transparent machen. Andere blicken auf das fertige Gericht,wobei sie sich häufig von den Details entfernen und in fast abstraktenMalereien landen. Wieder anderen ist die Raumsituation wichtig, die Ausblickedurch ein Fenster, die Zentrierung der Umgebung auf sie, Musik, Düfteusw.. In den Rezepten-für-Andere werden gerade diese Raumsituationen,in die Gäste oder die Familie einbezogen sind, bedeutsam, indem Gedecke,Gläser und Stühle zuviel oder zuwenig sind und auch Abwesendedas Essen mitgestalten können. Die Bildbesprechungen sollen herausstellen,inwieweit die Gestaltungsstrategien beim Kochen (das Herstellen von säuberlichGetrenntem, von Zusammenpappen-dem, von Würzigen oder Asketischem)etwas mit der Art der Bildgestaltung oder auch mit Techniken der Alltagsbewältigungzu tun haben. Im Anschluß hieran wird bisweilen der Episodenfilm Tampopovon J.Itami gezeigt, der fast nur aus Rezepten für alle Lebenslagenbesteht.

Übung 3: Behandlungen
Die Teilnehmer sammeln auf einem Bild Dinge, die sie für behandlungsbedürftighalten. Das muß nicht unbedingt Eßbares sein, sondern kann auchaus Alltäglichem oder ganz Abstraktem bestehen. Wieder in der Paarsituationeines kunsttherapeutischen Dialogs werden diese Blätter ausgetauschtund dem Partner zur Zubereitung angeboten. Auf einem zweiten Blatt wirdein Rezept für eine mögliche und sinnvolle Behandlung formuliert.Bei den Besprech-ungen dieser vier Über-Kreuz-Bilder zeigt sich immerwieder das spannende und hochkomplexe Phänomen, daß man in denBehandlungen anderer meist weiter geht als im Selbstbezug, dennoch die Eigenbehandlungim Auge behält und immer mitverfolgt.

näheres dazu in dem unveröffentlichen Vortrag:
"Tampopo oder das Rezept der Lebensbewältigung", gehaltenauf einer Sektionstagung der DGKT, Köln 1994


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