Hartmut Zänder
»Looking at the window«

Über den Aufenthalt vor Monitoren

Die Erinnerung an das Sprachspiel aus Jim Jarmusch's Film »Downby law« ließ mich seinerzeit gezielt diesen Film aufsuchen. In dieserSatire auf das Genre der Gefängnis-Ausbruchs-Filme kommt die bekannteSzene vor, in der John Lurie von dem italienischen Komiker Roberto Benignogefragt wird: »Heißt es "I'm looking through the window?" oder"I'm looking at the window?"«.
In diesem Fall, so die lakonische Antwort beim Blick auf das an dieWand gemalte Fenster, muß es wohl eindeutig "Looking at the window"heißen.

Dieser Schlüsselscherz formuliert in hervorragenderweise den globalenKonzeptionssprung, den es gegenwärtig zu erleben und somit auch zuverstehen und zu verdauen gilt. Mit dem letzten großen Umbruch imabendländischen Denken läutete die Renaissance die Neuzeit einsamt der ihr eigenen Subjekt-Objekt-Trennung. Sehen läßt sichdies an der zur bloßen Zeichentechnik verkommenen »Perspektivelehre«,die als entscheidende Neuerung zum griechischen Denken das »Lookingthrough the window« erfand.


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Looking at the window

Dieses »through« (das PER- der PERspektive) ist der Vorläferaller heutigen »windows« und wurde dadurch zur Apriori-Form, zur möglichenBedingung, daß ein neuer Schnitt als Fenster quer durch die Pyramide der griechischenSehstrahlen gezogen wurde.

Die Uhr auf dem ersten Bild ist von mir verändert, sie stimmt nicht mitder Filmzeit überein, sondern ist eingefroren auf Acht-nach-Zehn,der freundlichen Uhrzeit, in der seit bald zwanzig Jahren fast alle Uhrenin der Werbung in Smiley-Stellung verharren. Alle Photographen stellenihre Uhr-Modelle darauf, ohne bei Nachfrage die Herkunft oder den Grundangeben zu können.
Doch was wäre als Bildmetapher für die jetzige Postmoderneoder Nachgeschichte besser geeignet als dieser Haufen Uhren, die alle dieselbeund somit überhaupt keine Zeit mehr anzeigen.

Uhren wurden erfunden, um die Veränderung der Dinge im realen Raumzu messen und verstehbarer zu machen. Es scheint nur konsequent, daßin der digitalen Welt, die bald mehr »Windows« als wirkliche»Fenster« besitzen wird, keine Zeitangabe mehr nötig ist.Doch nicht unsere Geschichte ist plötzlich über Nacht zeitlos geworden,sondern die virtuelle Datenwelt der Computer, die sich nicht von selbstverändern oder wachsen kann. So wird auch verständlich, daß zeitgleich zwei US-Filme sich mit der Grundidee einer ständigen Zeitschleife auseinandersetzen (»12:01« und »Ewig grüßt das Murmeltier«). Aber die Mediendinge gehören eben nicht dem Bereich derPOESIS an, sondern dem der TECHNIK, sie können sich nicht selbst hervorbringenund erhalten wie eine Blume, sondern müssen hergestellt und bearbeitet werden.

Dies tun gemeinsam alle die, die vor den Bildschirmen hocken und perTastendruck die Computer füttern. Dieser Entwicklung habe ich mich angeschlossenund erkunde in Bildern spielerisch, was heute der Fall ist. Gemessen wird dort keineZeit, allenfalls Zeitpunkte, nämlich die der Entstehung (Generation date) und der Bearbeitung von Daten.

In Orbis TV pictus werden keine Geschichten erzählt, auch wenn der Dreier-Satz der Bilder dies zu suggerieren scheint. Ein Grund dafür kann vielleicht in der HTML-Sprache formuliert werden:

<windows="notime, nospace, nohistory">

Köln, 1998


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